Jana Würfel von Pinterest: "Es geht darum, bewusst zu konsumieren anstatt stumpf zu scrollen"
"Ich kann nicht mehr. Ich brauche eine Pause. Ich steige aus". Creators, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen, äußern sich zunehmend öffentlich. Mental Health ist in den Fokus gerückt - was zwangsläufig die Frage nach den relevanten Stellschrauben aufwirft. Was kann die Branche tun, um ihre Kreativköpfe besser zu schützen? Pinterest meldet sich dazu mit gleich mehreren Vorschlägen und zeigt, wie Plattformen initiativ agieren können.
Was Pinterest zu einem positiven Ort im Internet macht und welche konkreten Needs die Creators adressieren, haben wir Jana Würfel gefragt. Sie ist Head of Content & Creators Northern Europe und weiß aus erster Hand, was die Talents und ihre Communities bewegt.
styleranking: Welche gesellschaftliche Stimmung war für Pinterest der Auslöser, sich dem Thema Mental Health zu widmen?
Jana Würfel: Noch bevor Themen wie Negativität im Internet, Doom Scrolling und neuerdings das Phänomen des Creator-Burnout öffentlich vermehrt diskutiert wurden, hatte Pinterest den Anspruch, ein positiver Ort im Netz zu sein. Das war schon immer ein integraler Bestandteil unserer Marken-DNA: Pinterest ist ein Ort, der Menschen helfen möchte, Dinge zu entdecken und umzusetzen, die sie inspirieren. In letzter Zeit haben wir zunehmend Feedback von Nutzer:innen aus der Community und von Marken und Unternehmen bekommen, dass das Thema an Relevanz gewinnt. Während Covid haben wir alle mehr Zeit online verbracht. Natürlich kann das Internet ein inspirierender Ort sein, aber es gibt auch negative Seiten. Wir haben das Feedback bekommen, dass Hass, Streit und Negativität zunehmen und Menschen belastet. Außerdem steigt der Druck. Fomo, also “Fear of Missing out”, kann dazu führen, dass das Internet die Menschen mehr belastet, als es ihnen hilft. Uns hat gefreut, dass sich Pinterest hier absetzen kann. Das Feedback war: “Hier ist es irgendwie ruhiger, hier ist es positiver, hier ist es inspirierender.''
styleranking: Es gab in der Vergangenheit einige virale Videos und Statements von Creator:innen, die über ihre mentale Gesundheit gesprochen haben. Welche Statements haben dir persönlich die Relevanz des Themas vor Augen geführt?
Jana Würfel: Vor einigen Wochen waren wir bei den Videodays in Köln. Dort hatten wir die Chance, die drei Pinterest Creator:innen Henri Purnell, Ashley Forsson und Lena von MaybeGayby auf einem Panel zu interviewen. Hier ging es - auch hinter den Kulissen - viel um diese Themen. Henri hat zum Beispiel gesagt, dass er nur zurückhaltend neue Dinge auf bestimmten Social Media-Plattformen testet. Er weiß, dass die Kommentare im Zweifel negativ ausfallen und diese Debatten belastend sein können. In solchen Fällen postet er seine Inhalte auf Pinterest. Hier ist die Community freundlicher. Das war wirklich berührend. Lena stellt Themen, Bücher und Personen aus der LGBTQAI+ Community vor und auch sie sagt, sie wünscht sich einen Ort im Netz, an dem inklusiv und respektvoll miteinander umgegangen wird. Mit diesen Themen erlebt sie das nicht überall und wenn, dann auf Pinterest.
"Mittlerweile können Nutzer:innen den Hautton auswählen und die Ergebnisse werden individuell ausgespielt"
styleranking: Der Creator-Codex ist ein Baustein von Pinterest, um die Plattform zu einem positiven Ort zu machen. Wie sieht die Strategie zum Schutz der mentalen Gesundheit von Creators darüber hinaus aus?
Jana Würfel: Der Creator-Codex richtet sich gezielt an Content Creator:innen, damit diese hinterfragen: Sind meine Inhalte inklusiv? Schließen Sie niemanden aus? Sind Sie freundlich? Sind die Fakten gecheckt? Auch für Pinterest Nutzer:innen versuchen wir, eine wirklich positive Umgebung zu schaffen. Dazu gehört z.B, dass wir Anzeigen zum Thema Gewichtsverlust verbieten. Darauf sind wir stolz. Wir haben dafür viel positives Feedback aus der Community bekommen, weil wir sagen: Egal welchen Körpertyp jemand hat - jeder soll sich bei uns wohl fühlen. Ebenso verbieten wir politische Anzeigen.
Der andere wichtige Baustein sind Pinterest-Funktionen. Wir bieten z.B. eine Hautton-Auswahl und die Haarmuster-Suche bei Pinterest an. Diese Funktionen haben sich aus dem Nutzer:innen-Feedback ergeben. Damit wirken wir dem Problem entgegen, dass Menschen nach Beauty- und Style-Tipps suchen, aber nur Inspiration von Creators finden, die nicht aussehen wie sie selbst. Mittlerweile können Nutzer:innen den Hautton auswählen und die Ergebnisse werden individuell ausgespielt. Das Feedback hierzu war sehr positiv, weil Menschen erkannt haben, dass Pinterest ein inklusiverer Ort ist. Hinzu kommt, dass wir ein inspirierendes Engagement auf unserer Plattform schaffen möchten. Auf manchen Plattformen werden Creator vom Algorithmus fast abgestraft, wenn sie nicht permanent veröffentlichen. Das ist auf Pinterest anders. Inhalte sind sehr langlebig. Pins, die auf die Plattform gebracht werden, können Jahr für Jahr wiedergefunden und ausgespielt werden. Der Content arbeitet auf Pinterest für dich. Das trägt zu einem nachhaltigeren, entspannten und gesünderen Umfeld für Creator: innen bei.
styleranking: Ihr kooperiert aktuell mit Headspace. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Jana Würfel: Wir geben hunderttausenden Creator:innen weltweit die Möglichkeit, ein sechsmonatiges kostenloses Headspace-Abo zu beziehen. Headspace ist eine App für Meditation und Achtsamkeit. Man kann dort kleine Audio-Tutorials zum Thema Stressreduktion, besseres Einschlafen oder Achtsamkeit im Alltag durchlaufen. Für uns ist das eine schöne und intuitive Partnerschaft. Natürlich gehen wir nicht davon aus, dass diese Zusammenarbeit alle Probleme löst, aber sie setzt ein Signal. Wir wollen unseren Creators damit ein kleines Geschenk machen und sagen: Ihr seid uns wichtig und euer emotionales Wohlbefinden liegt uns am Herzen.
styleranking: In welchen Bereichen seht ihr für euch als Plattform Verbesserungspotenzial?
Jana Würfel: Das Thema User- und Creator:innen-Feedback ist für uns sehr wichtig und hat einen hohen Stellenwert. Wir sprechen immer wieder mit Pinner:innen und Creator:innen. Sei es im täglichen Arbeitsablauf, über Fokusgruppen oder über die
Marktforschung. Wir wollen wissen, welche Bedürfnisse aktuell sind. Entwicklungen wie die Hautton-Auswahl, die Haarmuster-Suche oder die Compassionate-Search - ein Produktbereich mit Übungen und Ressourcen für Wohlbefinden - sind Dinge, die aus diesem Feedback entstanden sind und dann direkt in unser Produkt eingearbeitet wurden. Compassionate-Search ist eine Suchfunktion, die hilfreiche Angebote für Nutzer:innen ausspielt, die nach Inhalten zu Themen wie Depression oder selbstverletzenden Verhalten suchen. Wir möchten nicht, dass jemand Inhalte findet, die das verstärken, sondern im Gegenteil, dann auf hilfreiche Ressourcen und Organisation verweisen, die helfen könnten.
styleranking: Es gibt Untersuchungen, die Zusammenhänge zwischen der Bildschirmzeit und der Entstehung von Depressionen behandeln. In Deutschland verbringen wir im Schnitt 89 Minuten am Tag mit dem Smartphone. Sind Plattformen wie Pinterest damit Teil des Problems, statt der Lösung?
Jana Würfel: Das Internet wird nicht verschwinden. Es hat viel Positives hervorgebracht - z.B. Wissensvermittlung, Vernetzung von Menschen, Austausch, Entwicklungen und Inspiration. Für letzteres möchten wir mit Pinterest stehen. Die Nutzungsdauer auf einer bestimmten Plattform nennen wir in der Fachsprache “Time Spent On Site”. Das ist zwar ein Faktor für uns, allerdings richten wir unsere Ziele nicht darauf aus. Wir möchten Menschen nicht so lange wie möglich in der App halten.
Unser Ziel lautet vielmehr: Wie können wir Menschen bei uns auf der App so schnell zu einer Idee hinführen, die so hilfreich für sie ist, dass sie wieder raus in ihr Leben gehen können, um sie umzusetzen? Das ist die Mission von Pinterest: Menschen helfen, ein Leben zu erschaffen, das sie lieben. Dieser Offline-Aspekt ist etwas, das wir nirgendwo anders sehen und wir weiter ganz stark besetzen wollen. Es geht vor allem darum, bewusst zu konsumieren anstatt stumpf zu scrollen. Es muss klar sein, welchen Mehrwert wir erzeugen. Dazu unterscheiden wir: Liefern wir digitale Zeit oder liefern wir eine App für das eigentliche Leben?
"Vermutlich ist es nicht schön, die ganze Zeit den Anspruch zu haben, andere beeinflussen zu müssen"
styleranking: Welche Verantwortung können Marken übernehmen, um den Druck auf Influencer:innen, der durch das Number Game entsteht, zu minimieren?
Jana Würfel: Es fängt schon damit an, dass wir bei uns nicht von Influencer:innen oder Influencer:innen Marketing sprechen. Woher kommt denn das “Numbers Game''? Von dem Wunsch der Marken, jemanden zu finden, der oder die eine große Reichweite hat. Außerdem davon, jeden Tag mehr Menschen ganz schnell zu beeinflussen. Mit dieser Botschaft positionieren wir uns im Creator:innen Marketing nicht. Eine Kollegin hat unsere Creator neulich als “CreativePowerhouses” bezeichnet, was ich schön fand. Creator:innen können tolle, authentische Content-Creative-Powerhouses sein, die helfen, Produkte der Marke und deren Geschichte authentisch in Szene zu setzen. Pinterest Creatorin “Schere Leim Papier” hat mit einem Bosch-Produkt einen vertikalen Garten erstellt. Das ist ein tolles Beispiel dafür zu sagen: Es geht darum, Menschen zu zeigen, wie eine Marke helfen kann, etwas Schönes im Leben zu tun. Creator:innen können ein toller Weg sein, das authentisch zu erzählen. Wir empfehlen Marken, unser Anzeigen-Produkt zu nutzen, wenn sie genau kontrollieren möchten, wie viel Reichweite geschaffen werden soll. Dort kann ein Werbebudget hinterlegt werden. Außerdem können sie dort die Zielgruppe und Keywords auswählen. So können Brands garantiert die gewünschte Reichweite generieren. Content Creator:innen sind dabei das kreative Element. Da existiert jedoch nicht der Druck bezüglich der Follower-Zahl oder wie schnell Content Pieces viral gehen. So funktioniert Pinterest nicht.
styleranking: Wir beobachten in der gesamten Branche eine große Debatte um die Wahl zwischen den Begriffen Influencer und Content Creator. Was denkst du, woran das liegt?
Jana Würfel: Der Vergleichsdruck und die hohen Erwartungshaltungen spielen da eine Rolle. Vermutlich ist es nicht schön, die ganze Zeit den Anspruch zu haben, andere beeinflussen zu müssen. Selbstdarstellung und der Druck, sowie die Verletzlichkeit, die damit einhergehen, können anstrengend werden. Da sollte eher die kreative Kompetenz in den Vordergrund gerückt werden. Wir sprechen bei uns vor allem auch von “Content with Personality”, statt von “Personalities with Content''.
styleranking: Kann dieser Fokus helfen, den Druck zu mindern? Weil Kritik dann ggf. am Content laut wird, aber nicht an der Gesamtheit einer Person?
Jana Würfel: Ich würde so weit gehen zu sagen, dass sogar Content-Kritik auf Pinterest selten passiert. Natürlich finden manche User:innen ein Rezept mal weniger lecker. Grundsätzlich ist die Stimmung aber positiv und konstruktiv. Es gibt eine Creatorin namens Barbara Baumann. Sie fertigt ganz tolle Illustrationen an. Andere haben das kommentiert und gesagt, dass sie das auch ausprobiert haben. Dann haben diese Nutzer:innen über “Takes” ihre eigenen Zeichnungen gezeigt und so eine Community gebildet.
styleranking: Wenn ihr euch kommendes Jahr eine perfekte Pinterest-Welt bauen könntet: Wie sähe die aus?
Jana Würfel: Unser Ziel ist es, weiter daran zu arbeiten. Wir wollen, dass Pinterest ein Ort ist, der Menschen hilft, tolle Dinge zu finden, die ihr Leben inspirieren.
styleranking: Vielen Dank für das Interview!